Fabian Coscia

Der Vermesser der Zellproteine

Fabian Coscia verbindet Massenspektrometrie auf Einzelzell-Ebene, Künstliche Intelligenz, Mikroskopie und Robotik, um in verdächtigen Zellen nach den Eiweißen zu suchen, die für schwere Krankheiten wie Krebs verantwortlich sind – und sie resistent gegen Therapien machen können. Seine Hoffnung: Leben retten.

Auf dem Bildschirm sieht die Gewebeprobe aus wie ein Satellitenbild mit unzähligen rot, pink, blau und grün eingefärbten Feldern. Dr. Fabian Coscia zoomt zu einer Stelle, an der rote Zellen die grünen einschließen. „Das ist eine spannende Region, weil hier Zellen des Kopf-Hals-Tumors mit Immunzellen interagieren“, sagt der Biotechnologe, der am Max Delbrück Center die Arbeitsgruppe „Spatial Proteomics“ leitet. In Proben wie dieser sucht er nach Proteinen, die über Leben und Tod entscheiden können.

Coscia ist ein Technologiepionier. Er nutzt ein Arsenal neuester Technik für seine Jagd nach krankmachenden Proteinen. Deep Visual Proteomics nennt sich eine von ihm mitentwickelte Methode, die Massenspektrometrie mit Mikroskopie, Künstlicher Intelligenz und Robotik kombiniert. Sie erlaubt es erstmals, innerhalb genau ausgewählter Zellen, die zum Beispiel in der Umgebung von Tumoren existieren, Tausende Proteine umfassend zu vermessen und zu analysieren. Denn Proteine, also Eiweiße, sind als Funktionsträger in den Zellen letztlich für die Entstehung und das Fortschreiten von Krebs verantwortlich. Sie können verhindern, dass Therapien anschlagen – und Angriffspunkte für Therapien der Zukunft bieten.

Fabian Coscias Lebenslauf liest sich wie der eines Forschers mit eindeutiger Mission: Doktorarbeit 2016, eigene Arbeitsgruppe 2021, ERC Starting Grant 2023 – mit 36 Jahren. Ein schmerzliches Ereignis in der Familie bewegte ihn dazu, diesen Weg zielstrebig zu gehen. „Ich wollte immer Menschen helfen. Die Technik ist nur ein Mittel auf dem Weg dorthin, aber ein wichtiges.“

Der Forschungszweig der Proteomik, nach dem Coscias Arbeitsgruppe benannt ist, schaut auf die Gesamtheit der Proteine. Deren Komplexität ist enorm. In einer einzigen Zelle befinden sich ungefähr so viele Proteinmoleküle, wie es Menschen auf der Erde gibt. „Die Massenspektrometrie ist unser bestes Werkzeug, um diese Komplexität zu erfassen“, sagt Coscia. Wie eine Waage misst sie das Gewicht jedes Moleküls, um es eindeutig zu identifizieren und die Häufigkeit seines Typs zu bestimmen. Das öffnet den Blick dafür, was in den Zellen tatsächlich passiert und wichtig sein könnte. „So kann man Mechanismen aufdecken, die man vorher gar nicht hätte erahnt können.“

Eine Art Karte der Tumornachbarschaft

Die Unvoreingenommenheit der Massenspektrometrie verknüpft Coscia mit der Zielgerichtetheit der Mikroskopie, mit der er die vielversprechendsten Zellen für die Analyse auswählt. Dafür schleust er mit Fluoreszenz-Farbstoffen versehene Antikörper in Gewebeproben ein, die zum Beispiel an Zelloberflächen binden und diese je nach Zelltyp einfärben. Ein Hochleistungsscanner digitalisiert die Probe anschließend, und eine Deep-Learning-KI-Software setzt alles zu einem vielschichtigen Bild zusammen, auf dem jede Zelle gut erkennbar ist – zu einer Art Karte der Tumorumgebung.

Dank Künstlicher Intelligenz bemerken wir Auffälligkeiten, die wir mit dem bloßen Auge übersehen würden.
Fabian Coscia
Fabian Coscia Leiter der AG „Spatial Proteomics“

Mit einem Klick lassen sich darauf Tumorzellen, aktive oder inaktive Immunzellen oder gesunde Zellen ein- und ausblenden. So kann Coscia etwa Regionen im Gewebe ausmachen, in denen invasive Tumorzellen in gesundes Gewebe vordringen oder sich T-Zellen dem Krebs entgegenstellen. „Dank Künstlicher Intelligenz bemerken wir Auffälligkeiten, die wir mit dem bloßen Auge übersehen würden“, sagt Coscia.

Da Proteine lange stabil bleiben, kann Deep Visual Proteomics auch Proben durchleuchten, die seit vielen Jahren in Biobanken liegen und Krankheitsverläufe abbilden. „Wenn wir wissen, dass eine Patientengruppe schlecht auf eine Therapie angesprochen hat, können wir schauen, ob bestimmte Zellen in der Tumorumgebung häufig auftreten“, sagt er. „Im Proteom dieser Zellen können wir dann nach den Gründen für die Resistenz suchen und neue therapeutische Angriffspunkte finden.“

Präzise einzelne Zellen isolieren

Im Labor wählt eine Doktorandin am Bildschirm gerade Zellen für die Analyse im Massenspektrometer aus. Ein Roboterarm trennt sie mit einem Laserstrahl aus dem Gewebeschnitt. Einzeln fallen sie in die Vertiefungen einer Mikrotiterplatte. Ein Pipettier-Roboter schließt Zelle für Zelle auf, um an die Proteine im Innern zu gelangen, die spezialisierte Enzyme anschließend in kleinere Bruchstücke zerschneiden.

Das Bild zeigt eine Schnittstelle zwischen einer Flüssigchromatographie (LC) und einem Massenspektrometer (MS). Dies ist der Ort der Elektrospray-Ionisation, bei der die in der LC aufgetrennten Peptide elektrisch aufgeladen werden. Diese ionisierten Peptide werden anschließend in das Massenspektrometer überführt, wo ihre Masse-Ladung-Verhältnisse bestimmt werden.

„Diese Peptide laden wir elektrisch auf und bestimmen dann ihr molekulares Gewicht“, sagt Coscia. In einem Zylinder mit Vakuumatmosphäre wird anhand ihrer Flugzeit gemessen, wie schwer sie sind. Am Ende steht eine lange Liste mit Zahlen, die Auskunft über ihre Identität und Häufigkeit geben. „Die Messgenauigkeit ist so hoch als würde man bei einem Jumbojet feststellen, dass ein Vögelchen auf einem Flügel gelandet ist“, sagt Coscia. „Die Messung ist auf ein Millionstel genau.“

Coscias hat seine Methode über Jahre präzisiert, miniaturisiert und automatisiert. „Während meiner Doktorarbeit mussten wir noch mehr als 100.000 Zellen in einer Probe messen“, sagt Coscia. „Das Ergebnis war ein gemitteltes Muster aller Proteine, das für die Gesamtheit dieser Zellen stand.“ Dabei wurde viel Wichtiges übersehen. Heute sind erstmal Messungen auf Einzelzell-Ebene möglich. Allerdings ist die Anzahl der Proben, deren Proteom ausgelesen werden können, aktuell auf rund 50 am Tag begrenzt.

Ein Protein das die Metastasierung fördert

Coscias Jagd nach Proteinen begann am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei Professor Matthias Mann, einer Koryphäe auf dem Gebiet der Massenspektrometrie-basierten Proteomik. Für seine Doktorarbeit untersuchte Coscia hier und an der University of Chicago bei Professor Ernst Lengyel das Proteom von Eierstockkrebszellen. Und tatsächlich stieß ihn die Massenspektrometrie auf ein Protein in der Umgebung des Tumors, das für dessen Metastasierung relevant ist und mit einem sehr schlechten Krankheitsverlauf in Verbindung steht. „Wir konnten einen Hemmstoff identifizieren, der im Mausmodell die Metastasierung deutlich reduziert“, erzählt Coscia. Dieser in „Nature“ publizierte Erfolg trieb ihn an, die Massenspektrometrie für hochauflösende Gewebeanalysen weiterzuentwickeln.

2017 ging Coscia nach Kopenhagen ans Novo Nordisk Foundation Center for Protein Research (CPR) der Universität Kopenhagen, um zweieinhalb Jahre lang an Deep Visual Proteomics zu tüfteln – sein Kollege Dr. Andreas Mund brachte Mikroskopie-Expertise ein, Coscia trieb die hochempfindliche Massenspektrometrie voran. „Es war zäh, wir mussten jeden kleinsten Prozess optimieren“, erinnert sich Coscia.

2020 lieferten die ersten Proben brauchbare Messergebnisse. „Da haben wir gespürt, dass es funktionieren könnte.“ Im August 2022 folgte die viel beachtete Publikation der Methode in „Nature Biotechnology“. „Mittlerweile haben wir hier am Max Delbrück Center einmal im Monat Besuch von Arbeitsgruppen, die Deep Visual Proteomics nutzen wollen“, sagt Coscia. „Das freut mich sehr.“

2021 ergriff er die Chance, eine eigene Arbeitsgruppe am Max Delbrück Center in Berlin-Buch aufzubauen, als Teil des Berliner Forschungskerns MSTARS, der Kompetenz zur Massenspektrometrie bündelt, sie in die Klinik bringt und Therapieresistenzen erforscht. Sein Team, das heute aus fünf Doktorandinnen, einem Postdoc und einer technischen Assistentin besteht, kooperiert mittlerweile mit 15 Gruppen am Max Delbrück Center und an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Gemeinsam mit Kliniker*innen erprobt er seine Methode für die Analyse von Krebs, Herzkreislauf- und neurodegenerative Erkrankungen. „Wir sind jetzt in einer sehr spannenden Phase. Nach Jahren der Technikentwicklung kommen die ersten vielversprechenden Ergebnisse rein.“

1,5 Millionen Euro für die Protein-Jagd

Die richtigen Proteine zu finden, kann langfristig Leben retten.
Fabian Coscia
Fabian Coscia Leiter der AG „Spatial Proteomics“

Fabian Coscia rechnete nicht damit, dass seine Bewerbung auf einen ERC Starting Grant auf Anhieb Erfolg haben würde. Doch im September 2023 kam die Zusage. Die 1,5 Millionen-Euro-Förderung ermöglicht es ihm, die Empfindlichkeit und den Probendurchsatz der Deep Visual Proteomics-Methode über fünf Jahre so weiterzuentwickeln, dass er eine noch effizientere Jagd nach relevanten Proteinen ermöglicht.

Seine große Hoffnung ist es, die molekularen Signalwege aufzuspüren, mit denen Krebszellen von Kopf-Hals-Tumoren die Immunantwort im Körper unterdrücken – und diese Strategie zu konterkarieren. Das könnte die Wirksamkeit von Immuntherapien entscheidend verbessern. „Das ist im Moment die einzige Möglichkeit, solche Tumorerkrankungen zu heilen, wenn die Chemotherapie nicht mehr anspricht“, sagt er. „Die richtigen Proteine zu finden, kann langfristig Leben retten.“

Text: Mirco Lomoth

 

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